Saalezeitung, 17.07.2012, GERD SCHAAR
Besuch auf dem Flugplatz sind Sehbehinderte nicht nur Passagiere von Rundflügen. Sie können sich auch ans Steuer eines Autos setzen

Nach Regen und Windböen kann die viersitzige Sportmaschine der Flugsportgruppe Hammelburg doch noch in die Lüfte abheben. Die Passagiere für die Rundflüge über das Saaletal sind rund zwei Dutzend Blinde und Sehbehinderte aus ganz Deutschland.
„Ich spüre das Gleichgewicht beim Fliegen“, sagt der blinde Physiker Thomas Krämer. Auch das Fliegen sei ein Stück Physik. Zusammen mit seiner Partnerin Barbara Dvorak ist er aus Nürnberg wieder angereist, um das Fluggefühl zu erleben. „Beruflich habe ich mit kleinen Atomteilchen zu tun, die auch Sehende nicht erblicken können“, so Krämer. „Hier beim Fliegen genieße ich jedoch die Physik zum Anfassen.“
Anfassen dürfen die blinden und sehbehinderten Fluggäste auch die viersitzige Cessna 172. Pilot Bernd Chittka von der Luftsportgruppe Hammelburg erklärt am Boden alle Details. Durch Ertasten können dieBlinden die Formen der Propeller und Tragflächen im wahrsten Sinne des Wortes begreifen. Auch die beweglichen Höhenund Seitenruder fühlen sie mit ihren Händen. Zum Piloten müssen sie Vertrauen haben. Denn bald werden sie ihr Leben seiner Erfahrung anvertrauen.
Gespannt auf den Flug sind auch Ingeborg und Rainer Knayer. Sie sind mit dem Zug aus Ludwigshafen angereist. „So etwas macht man nicht jeden Tag“, meint Ingeborg Knayer und freut sich auf diese seltene Gelegenheit. „Ein wenig aufgeregt, ob alles gut geht, ist man schon“, verrät ihr Ehemann. Grundsätzlich aber habe man Vertrauen zu der Aktion. „Sonst wären wir nicht angereist“, so Rainer Knayer.
„Ich habe ein wenig Angst, wenn ich beim Fliegen den Boden unter meinen Füßen verliere“, gesteht der Würzburger RingoDittmar ein. Aufgrund eines Unfalls sei er schon seit dem Babyalter stark sehbehindert. „Ich sehe nur schemenhafte Reste“,sagt er. Das Flugangebot der Hammelburger Luftsportgruppe für die Blinden finde er unglaublich toll.

Dittmar ist der Erste, der in den Fahrschulwagen der Hammelburger Fahrschule Gehring steigt. Die Sehbehinderten dürfen auf dem abgeschlossenen Flugplatzgelände nicht nur in der Cessna, sondern auch hinter dem Steuer eines Fahrschulwagens Platz nehmen. Seinen Blindenstock faltet Dittmar zusammen, als er am Steuer des Pkw seinen Platz einnimmt. Unter der Anleitung von Fahrlehrer Christian Oeding lässt Dittmar den Wagen langsam über den abgesperrten Flugplatz rollen. „Ein unglaubliches Gefühl, so etwas zu erleben“, strahlt Dittmar über das ganze Gesicht.
Blinde und Sehbehinderte sind bereits zum dritten Mal zu Gast bei der Hammelburger Luftsportgruppe. Auch im vergangenen Jahr bestiegen sie den Flieger und schwangen sich in die Lüfte. Nur 2010 war das Wetter so schlecht, dass die Starts abgesagt werden mussten. „Wir sind sehr dankbar für solche außergewöhnlichen Möglichkeiten“, erklärt der Sehbehinderten-Berater Karl-Heinz Paul. Dem schließt sich der unterfränkische Bezirksgruppenleiter Holger Tessar an.
Einen Stammtisch für Blinde und Sehbehinderte gibt es jeden dritten Freitag im Monat um 15 Uhr im Hammelburger Hotelrestaurant Kaiserhof. Jeden zweiten Donnerstag im Monat findet das Treffen um 14 Uhr im Bad Kissinger Hotel Astoria statt.